Dienstag, 10. Januar 2012

Die Qual der Wahl?

Vor einigen Tagen habe ich von einem Freund den Link zu einem Video bekommen:
http://www.ted.com/talks/barry_schwartz_on_the_paradox_of_choice.html
In diesem Video ist der Vortrag "The Paradox of Choice" von Barry Schwartz sehen. Leider nur in Englisch aber es lassen sich deutsche Untertitel aktivieren. Sehr interessant und ich empfehle Ihnen, sich die 20 Minuten Zeit zu nehmen!

Prof. Schwartz führt aus, dass viele Menschen ein Problem damit hätten, sich zu entscheiden, wenn viele Alternativen zur Auswahl stünden. Dabei sei es egal, ob es um die Auswahl eines Lebensmittels, einer Altersvorsorge, eines technischen Gerätes oder gar einer Lebensentscheidung ginge. Eine Auswahl aus wenigen (4-5) Alternativen falle leicht. Eine Auswahl aus mehr als 5 Alternativen führe oft dazu, dass keine Entscheidung getroffen würde aus Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, oder dass sich die Menschen nach einer Entscheidung schlecht fühlten, weil sie glaubten, ggf. doch nicht die beste Entscheidung getroffen zu haben.
Die Entscheidungsmöglichkeiten, die Freiheit einer Wahlentscheidung, die wir heute haben, werden von ihm als schlecht dargestellt, da jede Entscheidungsmöglichkeit die Menschen immer wieder neu in Stress versetze.
Aus diesem Grunde plädiert er für das Expertenwissen und Expertenentscheidungen und schlägt vor, die Wahlmöglichkeiten von vornherein einzuschränken, um es den Menschen einfacher zu machen, ja er geht in einem anderen Vortrag soweit vorzuschlagen, den Menschen eine Entscheidung mit "Ja" oder "Nein" vorzugeben, damit sie sich entscheiden. (Libertarian Paternalism v. Sunstein and Thaler)
Er endet damit, dass es notwendig sei, dass jeder von uns seinen "Käfig" (er nennt es Goldfishbowl) benötige, damit er zufrieden sei, also eine Beschränkung in seinen Wahlmöglichkeiten und seiner Freiheit notwendig wäre.

Ich stimme Herrn Schwartz ausdrücklich in seiner Analyse der Situation zu.
Auch ich erlebe in meiner Arbeit mit Klienten immer wieder die Überforderung, wenn es um Entscheidungen geht. Entscheidungen werden gerne deligiert - entweder an andere Personen oder auf den nächstem übernächsten oder überüber.... übernächsten Tag.
Schauen wir uns einfach mal an, was da in den Menschen passiert:
Nun im Äußeren gibt es Möglichkeiten, aus denen der Mensch entscheiden kann. Das ist einfach nur da - das ist nicht schlecht und das ist auch nicht gut, das ist einfach nur neutral.
Nun kommt der Mensch, hat ein Bedürfnis und Auswahlmöglichkeiten, die er über seine Sinne wahrnimmt. Dann erfolgt aufgrund von Prägungen, Grundüberzeugungen und Erfahrungen die Wertung dessen, was er wahrnimmt. Dabei kann unter anderem Folgendes als Wertung im Gehirn ankommen und unwillkürlich gedacht werden:
1. Boah, was für eine Auswahl! Klasse, da finde ich bestimmt das Richtige! (Freude)
2. Oh, ne, da kann ich mich ja gar nicht entscheiden! (Überforderung)
3. Aha, das wird also angeboten, spannend! (neutral)

1. zeigt zumindest eine Grundeinstellung, gerne Entscheidungen zu treffen.
Aus 2. spricht eher das Gegenteil.
Übrigens: Keine Entscheidung treffen, ist auch eine Entscheidung treffen, nämlich die, keine Entscheidung treffen zu wollen.

Grundsätzlich sind also die zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten nicht schlecht. Ob es schlecht oder gut ist, entscheidet jeder von uns selbst, aufgrund seiner Prägungen und Grundüberzeugungen, die er in sich trägt.
Keine Entscheidungen treffen oder das Gefühl zu haben, eine nicht optimale oder falsche Entscheidung getroffen zu haben sind also das Ergebnis von Glaubenssätzen, die wir in uns tragen.
Das könnte sein:
- mangelndes Selbstvertrauen
- Angst, falsch zu entscheiden und schuldig zu sein oder zu werden
- Angst, nicht genügend zu bekommen
- fehlendes Vertrauen in die Fülle des Lebens
- nicht wissen, wer man selber ist
- nicht wissen, was man vom Leben will

Also Aspekte, die ich wieder unter dem Begriff "Mangelverwaltung" subsummieren möchte.
Wenn jeder in sich reinhört und für sich herausfindet, was er vom Leben will und wie sein Leben aussehen soll, dann sind Entscheidungen, der erste Schritt zu seinen Zielen. Diese Entscheidungen werden dann als Folge intuitiv - auch wenn es Millionen von Auswahlmöglichkeiten gibt - so gut als möglich getroffen werden.

Ich widerspreche Prof. Schwartz in seinen Schlussfolgerungen:
Die Menschen vor den Auswahlmöglichkeiten schützen zu wollen, nenne ich versuchte Freiheitsberaubung und Übergriffigkeit. Stress mit einer Entscheidung zu haben, ist häufig ein Symptom für eine der oben genannten Glaubenssätze aber nicht die Folge der Wahlfreiheit.
Und überhaupt, wer soll und darf entscheiden, zwischen welchen zuvor ausgewählten Alternativen ich entscheiden darf - die Kirche, Politiker, Beamte, mein Nachbar?

Die Lösung kann doch nicht sein, ein Symptom zu vermeiden, in dem mich selbst in meinen Freiheiten einschränke oder einschränken lasse (Goldfishbowl), sondern sollte doch darin liegen, die einschränkenden Grundüberzeugungen nachhaltig in Befähigungen zu verändern, so dass die Wahlfreiheit nicht als Bedrohung sondern als Bereicherung wahrgenommen wird. Dass es funktioniert, davon wissen unsere Klienten zu berichten.

Erlauben wir uns die Freiheit, noch dürfen wir!